Gipfelsturm oder Talwanderung / Parkinson-Forschung auf neuen Wegen

Ein Beitrag von May Evers aus der Kolumne „Besser Wissen!“

Bei jedem Gespräch, das ich über Parkinson führe – und glaube mir, ich habe viele solcher Gespräche geführt – fällt mindestens einmal der Satz „Jeder Parkinson ist anders.“ Das stimmt, die Symptome zeigen sich bei allen Patient:innen anders und der Verlauf entwickelt sich sehr individuell.

Was viele aber nicht wissen: Die Forschung geht inzwischen davon aus, dass Parkinson nicht nur eine einzelne alleinstehende Erkrankung ist. Wir haben es vielmehr mit einer Vielzahl von neurologischen Erkrankungen zu tun, die sich unter einem Parkinson-Dach tummeln. Willkommen zur Parkinson-Party!

Alles neu

Schauen wir uns mal den aktuellsten Bericht eines Forscher:innen -Teams aus Australien an, das die Auswirkungen dieser Erkenntnis auf die Diagnose und therapeutischen Möglichkeiten herausstellt. Der Titel lautet übersetzt: „Eine Neudefinition der Hypothesen, die die Parkinson-Forschung antreiben“.

Bisher hat die Forschung versucht alle Symptome gebündelt einer Ursache zuzuordnen, weil wir es doch mit einer Krankheit zu tun haben. Das Ergebnis war aber nie zufriedenstellend. Es erklärte nicht die verschiedenen Ausgangspunkte, die für die Erkrankung entdeckt wurden. Mal war es der Darm,
mal das Gehirn oder vielleicht die erkrankten Proteinzellen.

Wenn wir jetzt aber die neuen Erkenntnisse zugrunde legen, zeigt sich ein ganz anderes Bild von Parkinson: Wir haben verschiedene Ursachen, weil wir es mit verschiedenen Krankheiten zu tun haben.

Jetzt frage ich mich, ob es sich die Wissenschaftler:innen leicht machen und die Hypothese verdrehen, um das Unerklärliche erklärbar zu machen. Warum soll das uns Patient:innen weiterbringen?

Die Antwort finden wir in eben dieser australischen Studie. Wenn wir die Diagnose differenziert betrachten und von mehreren Krankheiten ausgehen, ist es einfacher individuell abgestimmte Therapien zu entwickeln und im Verlauf der sich ändernden Erkrankung anzupassen.

Jeder Gipfel ein Parkinson

Die Autor:innen der Studie nehmen ihre Leser:innen mit auf eine Wanderung ins Gebirge. Jeder Berg repräsentiert eine Parkinsonkrankheit. Der  Ausgangspunkt ist in den Tälern, dort liegen die Base-Camps in unterschiedlicher Höhe. Die Patient:innen werden je nach genetischer Vorbelastung den
Camps zugeordnet und machen sich von dort aus auf den Weg zu den Gipfeln. Welche Route sie nehmen können und wie schnell sie vorankommen, hängt von verschiedenen Faktoren ab, die ihnen unterwegs begegnen. Wie zum Beispiel Umwelteinflüsse: Wie vielen Pestiziden waren sie ausgesetzt
und für wie lange? Wie gesund haben sie sich ernährt und wieviel Sport haben sie getrieben? DieTopographie des Bergs wird vom Zustand des Mikrobioms im Darm bestimmt. Alle Faktoren zusammengenommen bestimmen die Symptome und den Fortschritt der Erkrankungen.

Die Wege führen nie direkt auf den Gipfel. Sie kreuzen sich manchmal oder verschmelzen miteinander. Die Patient:innen können unterwegs auf einen anderen Pfad wechseln, der sie auf einen anderen Gipfel führt. An den Wegen sind Wegweiser angebracht, die Biomarker, die die Therapie bestimmen. Diese
Wegweiser können sich im Laufe der Zeit ändern. Die gilt es immer im Blick zu behalten.

Die Wissenschaftler:innen der Studie warnen davor, aus therapeutischer Sicht mehrere Gipfel zusammenzufassen, denn dann können die therapeutischen Möglichkeiten nicht voll ausgeschöpft werden, so wie es momentan der Fall ist. Die Tendenz ist immer da, so viele Patient:innen wie möglich unter ein therapeutisches Dach zu bringen.

Sie schlagen vor, von einem rein klinischen und damit starren Vorgehen zu einem differenzierteren, interdisziplinaren Vorgehen zu wechseln und Parkinson auch aus einer molekularbiologischen Warte zu betrachten, so wie es bereits bei anderen komplexen Krankheiten passiert.

Das klingt für mich alles sehr plausibel und einleuchtend.

Hoffnung keimt auf

Diese Studie gibt mir Hoffnung. Wie häufig höre ich jetzt, im achten Jahr meiner Erkrankung, in Selbsthilfegruppen und bei Freund:innen den Satz „Ich bin austherapiert.“ Da stellen sich mir die Nackenhaare auf und ich hoffe, diesen Satz eine ganze Weile nicht hören zu müssen. Wahrscheinlich werde ich nicht von den Erkenntnissen aus dieser und ähnlichen Studien profitieren. Aber sie werfen ein deutlich positiveres Licht auf die Pfade der Patient:innen, die sich jetzt in diesem Moment in den Base-Camps für die Wanderung zu den Parkinson-Gipfeln sammeln.

Allen anderen rufe ich zu: „Hey! Du bist nicht mehr allein mit deinem persönlichen Parkinson. Du schleppst sogar eine ganze Parkinson-Familie mit dir rum! Ade Mr. P., Herr Parkinson, kleiner
Giftzwerg und wie du sonst noch genannt wirst, lasst uns das Beste daraus machen und zusammen eine große Parkinson-Sause feiern!

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