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Ergotherapie – zweitklassige Physiotherapie?

Eine Einordnung von Kristina van Eyck

   

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Ergotherapie – zweitklassige Physiotherapie?

„Ergotherapie?! Da tanzt man doch Ringelrei mit den Kindern“ –  „Basteltanten!“– „Das ist doch zweitklassige Physiotherapie“

Solche Reaktionen gibt es immer wieder, wenn das Thema Ergotherapie auftaucht. Die häufigste Frage ist jedoch „Was ist Ergotherapie und was macht man da eigentlich genau?“ – Das ist eine sehr gute Frage, denn Ergotherapie lässt sich nicht in einem Satz beschreiben. Also- es wird lang, aber es lohnt sich zu lesen.

Fangen wir mit der Frage an, was Ergotherapie nun eigentlich ist und wo es herkommt.

Die Grundidee entstand bereits 1 Jh. Nach Christus in Rom, als erkannt wurde, dass Arbeit, Musik und Beschäftigung bei psychisch Kranken eine sinnvolle Behandlungsmethode darstellt. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde in den USA erstmalig Arbeit als Therapiemaßnahme bei psychisch Erkrankten eingesetzt. Im ersten Weltkrieg verlagerte sich der Fokus auf funktionelle Rehabilitation und Wiedereingliederung in die Arbeitswelt. 1976 gab es das erste Gesetz über den Beruf des „Beschäftigungs- und Arbeitstherapeuten“ in der BRD und 1999 gelangte der Beruf zu der Bezeichnung „Ergotherapie“. Der Begriff „èrgon“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie Arbeit, Werk, Tat– Heilung durch Arbeit und Handeln.

Schauen wir uns einmal die Definition von Ergotherapie laut dem Deutschen Verband für Ergotherapie an: „Ergotherapie unterstützt und begleitet Menschen jeden Alters, die in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt oder von Einschränkung bedroht sind. Ziel ist, sie bei der Durchführung für sie bedeutungsvoller Betätigungen in den Bereichen Selbstversorgung, Produktivität und Freizeit in ihrer persönlichen Umwelt zu stärken.
Hierbei dienen spezifische Aktivitäten, Umweltanpassung und Beratung dazu, dem Menschen Handlungsfähigkeit im Alltag, gesellschaftliche Teilhabe und eine Verbesserung seiner Lebensqualität zu ermöglichen.“  (DVE08/2007)                                                                                                                                                                                                            

Übertragen wir zum eingängigeren Verständnis diese Definition auf ein neurologisches Beispiel:

Herr A. ist 70 Jahre alt und an Parkinson erkrankt. Die Symptome beschränken sich auf beginnende Schwierigkeiten mit dem Gleichgewicht. Er ist ein passionierter Fahrradfahrer (bedeutungsvolle Betätigung) und macht regelmäßig mit seiner Familie (persönliche Umwelt) kleine Fahrradausflüge. Nun fühlt er sich zunehmend unsicher mit dem Fahrrad und traut sich nicht mehr mitzufahren.

In der Therapie würden wir nun unter anderem seine Umwelt, für ihn wichtige Betätigungen und seine Ressourcen und Einschränkungen betrachten. In diesem Fall gäbe es verschiedene Ansätze: Je nach Sturzgefährdung ließe sich das Gleichgewicht trainieren und das Fahrrad fahren analysieren und ggfs. die schwierigen Situationen üben. Alternativ wäre eine Hilfsmittelberatung für ein Fahrrad mit drei Rädern, was es zu erproben gälte. Auch damit wäre im Einverständnis mit Herrn A. seine Teilhabe ermöglicht.

Diese Definition des DVE gibt den Kern des Berufs wieder und wird berufsfeldübergreifend genutzt. Ergotherapie ist ein sehr breitgefächerter Beruf und findet sich in unterschiedlichen Bereichen wieder. Die sechs großen Felder sind: Neurologie und Orthopädie, Pädiatrie, Geriatrie, Arbeitstherapie und Psychiatrie. Weitere Felder sind u.a. auch die Traumatologie, Rheumatologie, Handtherapie, Gemeinwesenorientierte Ergotherapie, Jobcoaching, Palliativversorgung und schulbasierte Ergotherapie.

Eine grundlegende Orientierung für die ergotherapeutische Behandlung bilden folgende Kriterien:

  • -Klientenzentrierung
  • -Bedeutsamkeit von Betätigung für den Menschen
  • -Befähigung zur Teilhabe
  • -Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis

 

Übertrage ich diese Orientierungspunkte nun auf das Krankheitsbild Morbus Parkinson und ziehe drei verschiedene Personen mit drei verschiedenen Krankheitsverläufen und Hauptsymptomen heran, zeigt sich, dass es nicht DEN ergotherapeutischen Behandlungsplan gibt.

Herr B. hat wenig motorische Einschränkungen, merkt jedoch, dass er zunehmend Dinge im Alltag vergisst und seine Übungen nicht in den Alltag integrieren kann.

  • Bei ihm läge der Fokus auf Hirnleistungstraining und dem Übertragen von Gedächtnisstrategien in den Alltag. Als auch darin das Umfeld an diese Vergesslichkeit anzupassen bzw. Hilfsmittel zu nutzen, indem beispielsweise in der Wohnung Erinnerungshilfen hat oder digitale Gadgets als Erinnerung nutzt. Für die Integration der Übungen in den Alltag könnte eine gemeinsame Strukturhilfe evt. gemeinsam mit den Angehörigen erarbeitet/ besprochen/ gestaltet werden.

Frau C. sitzt im Rollstuhl und hat Schwierigkeiten beim Aufstehen, An- und Ausziehen und einen vorgeneigten Oberkörper mit einer Fallneigung nach rechts auch im Sitzen.

  • Bei Frau C. ständen motorische Übungen im Fokus. So ist es sinnvoll Übungen zur Körperwahrnehmung und -aufrichtung und für die posturale Kontrolle zu machen, um der Fallneigung entgegen zu wirken. Außerdem ließe sich direkt im Alltag ansetzen und das Aufstehen und das Umkleiden im Anziehtraining üben.

 

Frau D. beeinträchtigt hauptsächlich das Freezing und die Startschwierigkeiten, die bewirken, dass sie nicht regelmäßig losgehen kann.

  • Bei Frau D. wäre vorerst die Erprobung von Cueingstrategien im Vordergrund und die Überlegung, wie diese in den Alltag integriert werden können.

In allen drei Beispielen steht die Kommunikation mit dem Patienten als Voraussetzung, um herauszufiltern, was für ihn besondere Wichtigkeit hat. Grundsätzlich ist bei dieser Erkrankung jedoch zu beachten – viel bewegen und groß bewegen.

Nun, es wird wohl deutlich, dass es auch Überschneidungen mit der Physiotherapie gibt, dass „basteln“ eine Handlungsmethode zur Erreichung eines bestimmten Ziels darstellen kann und dass selbst „Ringelreitanzen“ einen tiefergehenden Sinn haben kann. Eines ist jedoch klar – es lohnt sich nachzufragen, denn es steckt häufig mehr dahinter, als man im ersten Moment sehen kann.

Deutscher Verband Ergotherapeuten (2007): Definition. In: Definition – Deutscher Verband Ergotherapie e.V. (DVE)

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