Temporale Interferenzstimulation:
Ein neuer Weg zur Hirnstimulation

Ein Beitrag von  Jürgen Zender

   

Die temporale Interferenzstimulation (TIS) ist eine bahnbrechende, nicht-invasive Methode zur Hirnstimulation, die tiefere Gehirnregionen erreichen kann, ohne das umliegende Gewebe zu beeinträchtigen. Diese Technik, die erstmals von Grossman und Kollegen entwickelt wurde, nutzt zwei hochfrequente elektrische Signale, die im Kilohertz-Bereich liegen und sich im Zielbereich überlagern, um dort eine niederfrequente Interferenz zu erzeugen. Diese niederfrequente Interferenz kann dann spezifische Gehirnregionen stimulieren​​​​.

Funktionsweise und Anwendung

Bei der TIS werden Elektroden auf der Kopfhaut platziert, die zwei verschiedene hochfrequente Signale (z. B. 9,0 kHz und 9,13 kHz) aussenden. Diese Signale interferieren miteinander und erzeugen in der Zielregion des Gehirns ein niederfrequentes Signal, das zur Stimulation genutzt wird. Diese Methode ist besonders vielversprechend für die Behandlung von neurologischen Erkrankungen wie Parkinson, da sie tiefere Hirnstrukturen wie den subthalamischen Kern erreichen kann, der bei Parkinson-Patienten eine zentrale Rolle spielt​.

Eine Studie von Martin Lamoš und Kollegen an der Masaryk Universität in Brünn hat gezeigt, dass TIS erfolgreich den subthalamischen Kern erreichen und die pathologische Beta-Aktivität reduzieren kann. Dies ist von großer Bedeutung, da eine erhöhte Beta-Aktivität bei Parkinson-Patienten zu Bewegungsstörungen führt. Im Vergleich zur traditionellen Tiefenhirnstimulation, die invasive Eingriffe erfordert, bietet TIS eine nicht-invasive Alternative, die ähnliche therapeutische Effekte erzielen kann.

Vorteile und Herausforderungen

Die Vorteile der TIS liegen auf der Hand: Die Methode ist nicht-invasiv, kann tiefere Hirnregionen erreichen und hat das Potenzial, spezifische neuronale Schaltkreise zu modulieren, ohne das darüberliegende Gewebe zu stimulieren. Dies reduziert das Risiko von Nebenwirkungen und macht die Technik für eine breitere Anwendung geeignet. Ein weiterer Vorteil ist die Flexibilität der Stimulation, da die Frequenzen und Amplituden der Signale leicht angepasst werden können, um unterschiedliche Zielbereiche zu erreichen und verschiedene neurologische Zustände zu behandeln​​.

Allerdings gibt es auch Herausforderungen. Die genaue Platzierung der Elektroden und die Kalibrierung der Signale sind entscheidend für den Erfolg der Stimulation. Zudem sind weitere klinische Studien notwendig, um die Langzeitwirkungen und die Sicherheit der TIS bei menschlichen Patienten vollständig zu verstehen und zu validieren​​.

Geschätzte Dauer bis zur Zulassung

Die Zulassung und breite Verfügbarkeit der Temporalen Interferenzstimulation (TIS) in Europa könnte noch einige Jahre in Anspruch nehmen. Derzeit befinden sich verschiedene klinische Studien in den frühen Phasen der Testung, um die Sicherheit, Machbarkeit und Effektivität dieser Methode zu bewerten.

Eine aktuelle Studie an der Imperial College London untersucht beispielsweise die Wirksamkeit der TIS bei Alzheimer-Patienten und wird von namhaften Institutionen wie der Alzheimer’s Association und der Bill Gates Foundation finanziert​​. Diese Studien sind ein wichtiger Schritt zur Validierung der Methode und zur Einholung der notwendigen regulatorischen Genehmigungen.

Zusätzlich gibt es laufende Studien, die sich auf die Anwendung der TIS zur Verbesserung der motorischen Funktionen und zur Modulation tiefer Hirnregionen konzentrieren​​​​. Die Ergebnisse dieser Studien müssen gründlich analysiert und von den zuständigen Gesundheitsbehörden wie der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) geprüft werden.

Insgesamt hängt der Zeitrahmen für die Zulassung von mehreren Faktoren ab, einschließlich der Ergebnisse laufender klinischer Studien, der Geschwindigkeit der regulatorischen Überprüfung und der weiteren Entwicklung und Optimierung der Technologie. Optimistisch betrachtet könnte die TIS in etwa fünf bis zehn Jahren eine breitere klinische Anwendung finden, vorausgesetzt, die Studienergebnisse sind positiv und die Methode wird als sicher und effektiv anerkannt.

 Zusammenfassung

Thema Beschreibung
Definition Nicht-invasive Hirnstimulation durch Überlagerung hochfrequenter elektrischer Signale
Anwendung Behandlung von neurologischen Erkrankungen wie Parkinson
Funktionsweise Zwei hochfrequente Signale interferieren im Zielbereich und erzeugen eine niederfrequente Stimulation
Vorteile Nicht-invasiv, tiefere Hirnregionen erreichbar, reduzierte Nebenwirkungen
Herausforderungen Präzise Platzierung der Elektroden, Kalibrierung der Signale, weitere klinische Studien notwendig
Aktuelle Forschung Erfolgreiche Reduktion der Beta-Aktivität bei Parkinson-Patienten in Pilotstudien
Zukünftige Aussichten Potenzial für breitere Anwendung und alternative Behandlungsmethoden zu invasiven Verfahren

 

Jürgen Zender, München, 22.07.2024


Quellenverzeichnis

  1. New non-invasive deep brain stimulation – New from UKDRI
    URL: www.dementiaresearcher.nihr.ac.uk
    Zusammenfassung: Diese Quelle beschreibt aktuelle Studien zur Anwendung von TIS bei Alzheimer-Patienten und die Validierung der Technologie durch verschiedene Forschungseinrichtungen.
    Abrufdatum: 22. Juli 2024
    Zitat: „In the new study, the researchers first used post-mortem brain measurements to validate that the TI electric fields can be remotely focused in the hippocampus.“
  2. Temporal Interference Brain Stimulation – Full Text View – ClinicalTrials.gov
    URL: classic.clinicaltrials.gov
    Zusammenfassung: Diese klinische Studie untersucht die Sicherheit, Machbarkeit und Wirksamkeit der temporalen Interferenzstimulation in verschiedenen Hirnregionen.
    Abrufdatum: 22. Juli 2024
    Zitat: „This is an investigational early phase testing of temporal interference (TI) stimulation in humans. The overall aim of the study is to assess the safety, feasibility, focality, and steerability of TI stimulation.“
  3. Noninvasive Deep Brain Stimulation via Temporal Interference Electric Fields Enhanced Motor Performance of Mice and Its Neuroplasticity Mechanisms | Molecular Neurobiology
    URL: link.springer.com
    Zusammenfassung: Diese Quelle bietet Einblicke in die neuroplastischen Mechanismen und die Verbesserung der motorischen Leistung bei Mäusen durch TIS.
    Abrufdatum: 22. Juli 2024
    Zitat: „Temporal interference stimulation targets deep brain regions by modulating neural oscillations.“
  4. Prospects for transcranial temporal interference stimulation in humans: a computational study
    URL: doi.org
    Zusammenfassung: Diese Studie untersucht die potenziellen Anwendungen der transkraniellen temporalen Interferenzstimulation beim Menschen und deren mögliche klinische Anwendungen.
    Abrufdatum: 22. Juli 2024
    Zitat: „Modulation without surgical intervention. Science 361:461–462.“

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